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KommDesign.de — Texte — Motivation und Handeln (1)

Über Motivationen

Motivationen sind älter als das Internet
Warum handeln Menschen? 16 Basismotivationen
Motivation und Webdesign
offene und verdeckte Auslösereize
Das WWW-Motivationsparadox
Fazit

 
 
Man bezeichnet es gerne als "völlig unmotiviert", wenn jemand anscheinend unerklärlich handelt, und solches Verhalten ist dann auch eher selten - vielleicht abgesehen von den Fällen, in welchen 22 erwachsene Männer hinter einem kleinen Lederball herlaufen oder gelangweilte Jugendliche ihre Großmutter anzünden. Wenn man menschliches Verhalten zu verstehen versucht, landet man also früher oder später unweigerlich bei dem Begriff der Motivation. Da nun das Klicken auf Hypertext-Links auch ein "Verhalten" ist, kann es auch im Webdesign nicht schaden, einmal über Motivation nachzudenken. Dieser Artikel soll hierzu einige Anregungen geben.  
   
Motivationen sind älter als das Internet

Das ist eine Einsicht, die so offensichtlich ist, daß man sie leicht übersieht oder vergißt. Trotzdem - oder gerade deswegen - ist sie ungeheuer wichtig. Das Spektrum der menschlichen Motivationen ist vor 100.000 Jahren mit festen biologischen Zielen (Partnersuche, Sicherung des Überlebens etc.) entstanden und hat sich seitdem wohl nicht wesentlich verändert. Seine Wurzeln liegen also irgendwo weit in der Vergangenheit, und sie sind auf das Leben von Jägern und Sammlern abgestimmt, die in einer Trockensavanne gemeinschaftlich überleben müssen. Kultur und Sprache machen die Sache zwar komplexer und z.T. weniger durchschaubar, an der biologischen und sozialen Prägung unserer Motivationen ändert das jedoch nichts. Ich betone diesen Sachverhalt hier deshalb, weil das Internet in den knapp 5 Jahren seiner Existenz eben noch keine neuen Motivationen erfunden hat. Unser Gehirn hatte noch keine Zeit, sich an einen "Cyberspace" anzupassen, und auch angesichts der coolsten Homepage funktioniert das dumme Ding einfach hartnäckig weiter wie in der echten Realität. Ein Auge oder ein Gesicht werden also für unsere Wahrnehmung und unser Bewußtsein noch für sehr lange Zeit sehr viel bedeutsamer sein als ein Button, eine bunte horizontale Linie oder eine rotierendes Firmenlogo - so schön solche Dinge auch sein mögen. 

Bevor man sich die Frage stellt, was man mit einer Website sinnvolles oder weniger sinnvolles anfangen kann, ist es also durchaus angebracht, einmal genauer darüber nachzudenken, was Menschen denn überhaupt zum Handeln bewegt. Man versucht dieses Problem in der Psychologie unter anderem dadurch zu lösen, daß man Listen - sogenannte "Motivtaxonomien" - aufstellt, die wie eine Art Katalog möglichst vollständig beschreiben sollen, welche Motivationen es gibt, welche Funktionen diese haben, mit welchen Verhaltenszielen sie verknüpft sind und wodurch sie ausgelöst werden. In der folgenden Tabelle habe ich eine solche - inhaltlich vereinfachte - Motivtaxonomie mit insgesamt 16 Motivationen zusammengestellt.  

 
 
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Warum handeln Menschen? 16 Basismotivationen
 
Motivation Ziele / Bedeutungen
1. Neugier Abwechslung / Neuheit / Wißbegierde / Horizonterweiterung
2. Leistung Ehrgeiz / Erfolg / Perfektionismus / Effizienz / Wettbewerb 
3. Kontakt Ausleben bestehender o. Aufbau neuer Beziehungen 
4. Macht Dominanz / Führung / Kontrolle über andere
5. Sicherheit Risikovorsorge / Vermeiden von Mißerfolgen, Schmerz, Krankheit
6. Hilfe (anderen) Hilfe o. Unterstützung leisten / Schützen / Fürsorge
7. Hilfe (selbst) unterstützt / angeleitet / beschützt werden
8. Bequemlichkeit Vermeiden von Anstrengung, Zeitersparnis
9. Ordnung Einfachheit, Verständlichkeit, Vorhersagbarkeit der Umwelt 
10. Spiel Zerstreuung / Unterhaltung / Ablenkung
11. Gewinn Geld verdienen o. gewinnbringend anlegen / Sparen / günstige Geschäfte o. Käufe / Besitz mehren
12. Prestige Bewunderung und Anerkennung durch sich selbst, reale oder nur vorgestellte Dritte
13. Sex reale oder phantasierte sexuelle Aktivität
14. Emotion Gefühlsbetonung / Aufregung, Risiko ("sensation seeking") / Vermeiden bzw. Herbeiführen negativer bzw. positiver Emotionen
15. Rückzug Ruhe / Regeneration / Schlaf
16. Autonomie Selbstbestimmung / Freiheit / Widerstand gegen Beeinflussung / Verteidigung der eigenen Werte und Meinungen
 
 
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Motivation und Webdesign

Natürlich kann man sich darüber streiten, ob das die einzig mögliche und gültige Lösung für eine Motivtaxonomie ist, und ob die Begriffe im einzelnen immer 100%tig glücklich gewählt sind. Dies möchte ich jedoch lieber den Fachkollegen überlassen (die das, nebenbei bemerkt, auch kräftigst tun). Für meine Zwecke ist sie ausreichend. 

Was kann man im Webdesign mit einer solchen Liste anfangen? Nun: Die 16 Motive beschreiben die möglichen Bedürfnisse, die man bei der Auswahl und Gestaltung von Angeboten im Web ansprechen, also gewissermaßen die "Knöpfe", auf die man drücken kann. Beispiele: Eine Service-Hotline spricht das Motiv Nr.7 (unterstützt, angeleitet werden) an, Videos attraktiver, leichtbekleideter Damen, die sich ihrer Kleidung dann obendrein noch entledigen, wären für Nr. 13 ("Sex") geeignet, ein Diskussionsforum für Nr. 3 ("Kontakt"), während der Download eines Virenscanners sicherlich mit "Sicherheit" (Nr. 5: Risikovorsorge) zu tun hat. Und eben deshalb, weil sie reale Motivationen ansprechen, funktionieren diese Angebote auch, d.h. sie lösen wirklich Verhalten aus, sie werden genutzt, und damit sind sie "gut". Natürlich kann ein einzelnes Angebot auch mehrere Motive gleichzeitig ansprechen, so kann etwa eine Servcie-Hotline - wenn sie gut gemacht ist - mit Sicherheits- und Leistungsmotivation (Nr. 2 und 5), aber auch mit Bequemlichkeit und dem Bedürfnis nach Ordnung (Nr. 8 und 9) in Verbindung gebracht werden.

Umgekehrt sind Angebote, für die man in dieser Liste kein Äquivalent findet, wirkungslos, weil sie auf dem Hintergrund der Motivstruktur der Besucher/innen eben irrelevant sind (vorausgesetzt natürlich, die Taxonomie ist einigermaßen vollständig). Das Top-Beispiel für ein motivationspsychologisch ungeschicktes Angebot ist selbstgefälliges PR-Material, das mehr mit der Prestige-, Macht- und Gewinnmotivation der Anbieter als den Bedürfnissen und Interessen der Besucher/innen zu tun hat. Und ich persönlich habe den Eindruck, daß dies sehr häufig vorkommt, daß also viele Inhalte im Web eher die Motivationen der Anbieter als die der Besucher widerspiegeln.
 

 
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offene und verdeckte Auslösereize

Damit ein Angebot Verhalten auslösen, also eine Motivation wirksam aktivieren kann, muß es als Auslösereiz funktionieren, d.h. es muß möglichst offen und direkt kommunizieren, wofür es gut ist. Dies entspricht exakt dem Vorgang des Kaufens und Verkaufens in der Realität. Ein Hersteller von Kinderzahnpasta wird potentiellen Kunden z.B. mindestens mitteilen, daß sein Produkt vor Paradontose und Karies schützt (Nr. 5 "Sicherheit") und Mundgeruch bekämpft (Nr. 3 "Kontakt"). Wenn er sich mehr Mühe gibt, kann er erklären, daß die Zahnpasta dem Nachwuchs erwiesenermaßen geradezu himmlisch schmeckt (Nr. 8 "Bequemlichkeit" - Vermeiden von Anstregung und Nr. 15 "Emotion" - Vermeiden negativer Emotionen auf Seiten der Eltern). Und wenn er dann noch glaubhaft macht, daß sein Produkt außerdem auch von - sagen wir - Boris Becker für seinen Sprößling verwendet wird (Nr. 12 "Prestige") und obendrein noch billig (Nr. 11 - "Gewinn") ist, haben wir das Zeugs schon so gut wie verkauft, also ein (Kauf-)Verhalten ausgelöst.

Wichtig ist: Der Hersteller wird uns über all diese Dinge tunlichst nicht selbst nachgrübeln lassen, etwa so: "Hmm, was ist denn hier in der Packung? Oh, Zahnpasta! Wofür könnte die denn gut sein? Sollte ich vielleicht meine Marke wechseln? Mal sehen, welche Wirkstoffe da drin sind - ich habe ja zum Glück immer mein medizinsches Lexikon dabei, in dem ich nachschlagen kann,......

Im Internet geschieht nun exakt das gleiche - oder auch nicht: Ein Angebot, das mich "einfach so" dröge anglotzt (sagen wir, unter dem Label "Download") bürdet mir nicht nur die Last auf, nachzuschauen, was das denn genau sein könnte, ich muß mich obendrein auch noch selbst zu motivieren. "Hmm, könnte interessant sein, wenn das ein kostenloser Service mit interessanten Produkten wäre." Wenn man mir allerdings direkt und ohne Umschweife erklärt was es überhaupt zu holen gibt und mir dann noch andeutet, was ich alles schönes damit anfangen kann, werde ich sehr viel direkter motiviert 'draufzuklicken - und dann funktioniert das Angebot.

 
 
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Das WWW-Motivationsparadox

Wenn das alles so stimmt, höre ich Sie fragen, warum werden die ganzen "Nutzlosigkeiten" im Web, die ja nach meiner These eben keine Motivationen ansprechen, dann überhaupt besucht und angeschaut? Ist das nicht paradox?  Die Antwort: Nein, und zwar aus mindestens drei Gründen: 

  • Erstens gibt es das beim Menschen ungeheuer stark ausgeprägte Neugiermotiv, das uns dazu verführt, die merkwürdigsten Dinge sozusagen probeweise anzuschauen bis das Interesse nachläßt - was dann sehr schnell geschehen kann. Die Tatsache, daß jemand auf meinen Seiten stöbert, muß also keinesfalls heißen, daß er sie am Ende dann auch attraktiv findet. 
  • Zweitens senden viele Inhalte auf Webseiten eben sehr uneindeutige Signale, d.h. sie offenbaren nicht, zu welcher Motivation sie passen oder sprechen Motivationen sehr verdeckt an. So entsteht eine Situation, in der die Benutzer/innen sozusagen mit Stangen im Nebel herumstochern und unfreiwillig sehr viel Information aufsuchen, die mit ihren Bedürfnissen nichts zu tun hat. 
  • Drittens gibt es eine natürliche Trägheit im Verhalten, d.h. auch unsinnige oder irrelevante, ablenkende Verhaltensalternativen werden in der Regel nicht augenblicklich und sofort abgebrochen, sondern zuerst einmal für eine bestimmte Zeit beibehalten. Dies kann sehr schnell vorbei sein, aber trotzdem einen "Hit" in der Zugriffsstatistik produzieren.
Zusammengenommen können diese Faktoren dazu führen, daß man auch mit einem völlig unsinnigen Internet-Angebot eine gewisse Publikumsresonanz erzielt. Ob man damit allerdings längerfristig erfolgreich ist, wage ich zu bezweifeln.
 
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Fazit

Wenn Sie das Angebot auf Ihrer Website motivationspsychologisch attraktiver gestalten möchten, sollten Sie verstärkt darüber nachdenken, welche Motivationen sie ansprechen können. Dabei ist natürlich zu berücksichtigen, mit welcher Zielgruppe man es zu tun hat. Die weiter oben dargestellte Tabelle mit Basismotivationen gibt Ihnen Hinweise, was dabei möglich ist, woran man überhaupt denken kann. In einem zweiten Schritt sollten Sie die Gestaltung so planen, daß möglichst intensive, direkte, unmißverständliche und offene Auslösereize gesetzt werden. Nur wenn Sie Ihrem Publikum helfen, Ziele zu erreichen, die es wert sind, erreicht zu werden, können Sie daran denken, ihre eigenen Ziele wirksam umzusetzen. 

Zuguterletzt kann man aus dem Ganzen auch eine ebenso einfache wie wirkungsvolle Evaluationstechnik ableiten, die ich selbst gerne einsetze, um Internetangebote zu bewerten. Betrachten Sie sich die Elemente Ihrer Website einmal mit der Frage im Hinterkopf: "Warum sollte da jemand hinschauen, lesen oder klicken, gibt es da eine denkbare Motivation?" Wenn Ihnen auf diese Frage spontan keine Antwort einfällt außer einem vagen "naja, vielleicht gibt's ja jemanden, den das interessiert ", ist etwas faul.
 

 

Nachtrag

In einem Workshop der CHI '98 mit dem Titel "Beyond Internet Business - as - Usual" stellte Antoinette Littel eine interessante Motivtaxonomie für den Bereich des E-Commerce vor "emotional and social needs of buyers". 

http://www.zurich.ibm.com/~mrs/chi98/report.html

(Figure 3 in der Mitte der Seite)

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© Dr. Thomas Wirth Kommunikationsdesign - eMail: thomas.wirth@kommdesign.de
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