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Artikel 9 von 44
KommDesign.de — Galerie — schlechte Kommunikation

Koevolution oder: im Bann der Banner
   

In der Ökologie versteht man unter "Koevolution" die wechselseitige Beeinflussung von Tier- und/oder Pflanzenarten in ihrer evolutionären Entwicklung. Die Gräser haben sich z.B. irgendwann dazu entschlossen, Kieselsäure in ihre Fasern einzulagern, um damit den Grasfressern das Leben schwer zu machen. Diese "Mineralisierung" erhöht nämlich die Härte und Widerstandsfähigkeit der Pflanzenfasern (wenn Sie es nicht glauben, kauen Sie einmal ein Bündel Heu). Pferde und Kühe wären also jämmerlich verendet und ausgestorben, wenn sie sich nicht ihrerseits als Gegenmaßnahme die Zähne mit Flour gehärtet hätten. Dies war für die Gräser wiederum ein Anlass, sich mit noch mehr Kieselsäure zu panzern, worauf die Pflanzenfresser.... Das erinnert Sie an die Geschichte von der Henne und dem Ei? Richtig: Ursache und Wirkung lassen sich in der Koevolution von Räuber-Beute-Systemen nicht auseinanderhalten. Auch im Web gibt es eine Koevolution, nämlich zwischen den Herstellern von Online-Werbeanzeigen (als Räuber) und den gemeinen Internet-Beutetieren, die auf die vielfältigen Verlockungen, die da allenthalben präsentiert werden, nicht wirklich dringend gewartet haben.

Wären Web-Banner wie in der Zeitung nur bunte Bildchen, die irgendwo am Rand unseres Bewusstseins vorbeihuschen, wäre alles in Ordnung. Man guckt mal hin, und damit Schluss. Man weiss auch, dass diese Form der Werbung durchaus wirkt, dass also Produkte und Firmen, die einfache Banner auf einer Website schalten, später wiedererkannt und erinnert werden, wie sich das in der traditionellen Werbung gehört. Doch das Web ist ja "interaktiv", die Jäger sind raffiniert, skrupellos und unersättlich. Sie bauen bunte Bildchen mit biologischen Auslösereizen und klobigen Aufschriften wie "KLICK MICH" oder "JETZT KAUFEN!". Und wenn das nicht mehr ausreicht, die scheu gewordene Beute einzufangen, schalten sie einen Gang höher: blinkende Banner mit einem Wechsel der überaus originellen Schriftzüge "KLICK MICH!" und "JETZT KAUFEN!", und als Nachbrenner noch eine "EINMALIGE GELEGENHEIT!" und ein beherztes "GRATIS!".

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das ist nur ein Bild, klicken Sie also nicht darauf.

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Mittlerweile hat sich netzweit herumgesprochen, dass die Inhalte hinter diesen Bannern in der Regel keinen Schuss Pulver wert sind. Und da sie in 99 von 100 Fällen überhaupt keinen Bezug zum Thema bzw. zum Handeln der Besucher einer Website haben, werden sie von der Netzgemeinde kollektiv und zunehmend ignoriert, also: Koevolution. Die Beute verharrt sozusagen in ihrem Unterschlupf (ätsch!). Dies hat sich aber wiederum in den Bannerschmieden herumgesprochen, und damit beginnt die Spriale sich zu drehen. Es werden immer neue Winkelzüge ersonnen, uns Botschaften, die zu ignorieren wir uns eben mit Erfolg angewöhnt hatten, eben doch noch ins Auge zu trompeten.

Popup-Banner gehören deshalb auf vielen Websites mittlerweile zur Standardbewaffnung. Merke: was uppoppt, kann nicht einfach und völlig ignoriert werden, denn man muss ja mindestens auf das kleine Kreuzchen zum Schließen des Fensters klicken. Hierzu braucht es eine gewisse Fingerfertigkeit und ein Minimum an Aufmerksamkeit. Popup-Banner waren also der nächste Versuch, uns zur Strecke zu bringen, die nächste Stufe der Koevolution (ätsch!). Und um auch noch die letzten Zauderer zu erlegen, werden die Fensterlein mit höchst trickreichen Inhalten gefüllt,

Besonders beliebt ist der überschwellige Apell an den - meist männlichen - Fortpflanzungstrieb, sprich: die Darbietung stark ausgewölbter weiblicher Geschlechtsmerkmale. Verfügt der Inhalt des Popups beispielsweise über eine so köstlich eingezwängte Oberweite wie das hier zu sehende Exemplar, kann man doch als Mann nicht widerstehen, oder? Wahrlich nicht: Um meinem vordringlichen Ziel, der Dame ein Kind zu machen, wenigstens ein klein wenig näher zu kommen, muss ich ja jetzt klicken, da bleibt keine Wahl.

Mir geht bei solchen Gelegenheiten immer durch den Kopf, dass ein Psychoanalytiker den lüsternen Klick wahrscheinlich als symbolische Penetration des mütterlichen Drüsenapparats mit dem Mauszeiger als Repräsentanz des Phallischen an sich interpretieren würde... Danach kann ich mich dann mühelos beherrschen.

Andere Bannermacher haben ihre Popup-Fenster noch weiter aufgerüstet, z.B. mit einer Komposition aus Betörung und gefälschten Bedienelementen. Wer in einem solchen Fenster ein einziges Mal versehentlich auf einen Placebo-Knopf geklickt hat, tut dies mit Sicherheit niemals wieder. Ich kann es bezeugen, denn im Zustand nächtlicher Übermüdung habe ich einmal den gefälschten Knopf zum Schließen des Fensters getroffen.

Das Schauspiel, das danach in meinem Browser entfesselt wurde, hat mich gelehrt, in Zukunft aufzupassen: es waren ein halbes Dutzend neuer Popup-Fenster mit ebenso zweifelhaftem wie schweinischem Inhalt, einschließlich selbstständig durchstartender Schein-Downloads und einem erigierten 0190-Dialer. Nachdem ich meinen wild bockenden Browser durch gutes Zureden gebändigt hatte - ich glaube, ich sagte so etwas wie: "Hooohooo, ganz ruhig, alter Junge!" -, war mein Adrenalinspiegel jedenfalls so weit erhöht, dass ich eine Stunde weiter arbeiten konnte. Aber - ehrlich gesagt - das war es nicht wert.
 
 
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Seitdem fällt es mir überhaupt nicht mehr schwer, glutäugigen Damen Marke "Madame Olga", die mir mit intensivhypnotischem Blick Lust auf fette Gewinne suggerieren möchten, Widerstand zu leisten.

 

 

 

Nein: keine Lust auf fette Gewinne, ganz ehrlich.

Was die Bannerarchitekten anscheinend noch nicht bemerkt haben: es ist nicht klug, Scheinbedienelemente mit zustimmenden Begriffen ("Ja!, Kaufen!, Suchen!, Unbedingt haben wollen!") zu versehen. Ablehnende Begriffe ("nein!, weg!, Ende!, Schluss!, Aus!, Hau ab!") wären wirksamer.

Hier war mein Unterbewusstsein z.B. so erfreut, einmal ganz spontan und wahrheitsgemäß auf "Nein!" klicken zu dürfen, dass der kritische Verstand nicht mehr rechtzeitig davor warnen konnte, dass das mit Sicherheit ein gefälschter Knopf ist, hinter dem sich eine Falle, z.B. irgendeine dämliche Kundenumfrage...

 

...zu spät! Es war dann auch so. Wie Sie sich vielleicht denken können, habe ich noch nie mit so viel Imbrunst nicht an einer Kundenumfrage teilgenommen.

 
 
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Einige Anbieter haben immerhin verstanden, dass der Inhalt eines Popups irgendwie in einer Verbindung zum Thema der Site stehen sollte - auch wenn es dabei gelegentlich etwas surrealistisch zugeht. Hier ist zum Beispiel ein Banner zu sehen, das dem Besucher die Information, die er ohnehin Beginn der Startseite präsentiert bekommt, noch einmal in verpoppter Form zeigt - viel hilft viel und auf alle Fälle doppelt gemoppelt, sozusagen.

Wenn Popups einen messbaren Intelligenzquotienten hätten, wären wir hier nahe am absoluten Nullpunkt der Skala. (Ich würde übrigens wetten, dass das Kürzel "VFK4" in der Titelleiste des Banners Verquastes für Kunden heißt - und nicht etwa Verkaufsförderung.)

Und hier schließlich die Krone der Schöpfung: ein "interaktives" Banner, das es mir gestattet, zwischendrin eben mal rasch die Krankenkasse zu wechseln. Das ist als Mehrzweckangebot in allen Lebenslagen bestens tauglich. Tragen wir nicht alle tief in uns den Wunsch, die Krankenkasse zu wechseln? Jetzt sofort? Mit PREMIUM SELECT? "POWERED BY KarstadtQuelle?

Yeah!

.

 
 
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Allerdings ist das Popup als solches keine wirklich durchschlagende Jagdtechnik. Warum? Das Zuklicken geht mit etwas Übung sehr schnell, sodass der gemeine Internet-Nutzer den poppigen Informationsmüll in den meisten Fällen schon entsorgt hat, bevor er seine Wirkung überhaupt entfalten kann. Wenn die Verbindung zu dem Server, der uns die Informationen serviert, nicht pfeilschnell ist, werden Popup-Banner über das hier zu sehende Stadium nicht hinauskommen. Ja, so ist das mit der Koevolution (ätsch)!

 

Doch wie es sich für erfolgreiche, aggressive Jäger gehört, haben die Bannerknechte schon die nächste Stufe der Rüstungsspirale eingeleitet. Beispielsweise gibt es da die segensreiche Erfindung des Klebebanners oder "Sticky-Ads". Das sind Werbeattacken, die hartnäckig auf einer Stelle des Monitors haften, so sehr man auch versucht, ihnen zu entscrollen (ätsch!).

Sie werden allerdings kaum ein Sticky Ad und meine Person gemeinsam auf einer Website antreffen. Die Anwesenheit eines solchen ist für mich ein zuverlässiges Ausschlußkriterium für die Nutzung eines Angebots. Nach den Erfahrungen mit den Sirenen von vorhin unterlasse ich es auch grundsätzlich, auf "Fenster schließen" zu klicken. Nein, da hilft nur die Abstimmung mit den Füßen.

 
 
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Indessen gibt da noch eine andere Strategie, nämlich den Störenfried kurzerhand unter ein neu geöffnetes Browser-Fenster zu schmuggeln. Dort lauert er dann, unerreichbar für den finalen Rettungsklick (ätsch!). So wird aus dem vergleichsweise harmlosen Popup-Moorhuhn das versuche-doch-mal-mich-zu-ignorieren-na-los-versuche-es-Fenster. Und so kann man dann Abends nach getaner Arbeit den Müll vom Desktop kehren, den die listigen Bannerbauer dort hinterlassen haben.

Immerhin variiert der Durchseuchungsgrad in Abhängigkeit vom Thema. Das folgende Bild ist keine Montage. Es gibt den Zustand meines Desktops nach einem kurzen Ausflug in die wunderbare Welt der Shareware-Datenbanken wieder:

Besonders beeindruckend ist das Exemplar vorne, das uns einen Doppelvergaser mit obenliegender Nockenwelle für unseren lahmen Rechner verspricht und zu diesem Zweck gleich eine komplett bestückte Benutzeroberfläche präsentiert. Und natürlich ist das Ganze - wie immer - eine Falle. Es gibt nur ein Bild und ein einziges Link dahinter. Wohin das wohl führen mag? Ich weiß es bis heute nicht. Allerdings weiß ich nun, warum es sich lohnt, Software ganz ordentlich im Laden zu kaufen. Immerhin muss ich zähneknirschend zugestehen, dass man hier verloren hat.

In diesem Zusammenhang möchte ich das erste Gesetz der Bannerkunde formulieren. Es lautet wie folgt:

Die Relevanz der Inhalte, die ein Banner enthält, ist umgekehrt poportional zu seiner Penetrationswirkung, einfacher gesagt: was die Abwehr des Betrachter besonders wirkungsvoll unterläuft, ist besonders hirnverbrannt.

 
 
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© Dr. Thomas Wirth Kommunikationsdesign - eMail: thomas.wirth@kommdesign.de
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